Besessen by Antonia S. Byatt

Besessen by Antonia S. Byatt

Autor:Antonia S. Byatt [Byatt, Antonia S.]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Maud und Roland wanderten die engen Gassen entlang, die sternförmig vom Hafen Whitbys ausstrahlen. Wo Randolph Ash Geschäftigkeit und Wohlstand aufgefallen waren, fielen ihnen die Begleiterscheinungen von Arbeitslosigkeit und Ziellosigkeit auf. Die wenigen Boote, die sie im Hafen sahen, waren verschalt und angekettet; kein Schiffsmotor ließ sich hören, kein Segel klatschte im Wind. Kohlenrauch lag in der Luft, aber auch er bedeutete heute etwas anderes als ehemals.

Die Läden waren alt und romantisch. Das Ladenschild einer Fischhandlung war mit aufgerissenen Haifischgebissen und stacheligen kleinen Ungeheuern verziert; im Fenster eines Bonbongeschäfts standen die alten Glasgefäße zwischen Pyramiden bunter Zuckerwürfel, ‒kugeln und ‒rhomben. Verschiedene Juweliere warben für ihre Jettarbeiten. Sie blieben vor einem dieser Läden stehen: »Hobbs und Bell, Schmuck und Ornamente aus Jett«. Die Ladenfront war schmal und hoch; das Schaufenster sah aus wie eine aufgerichtete Schachtel, an deren Seiten lange Schnüre glitzernder schwarzer Perlen befestigt waren ‒runde Perlen, facettierte Perlen, Perlen, von denen Medaillons hingen. Das Schaufenster selbst bot den Anblick einer sturmgeschüttelten Schatztruhe: staubige Broschen, Armbänder und Ringe auf brüchigem Samt, Kaffeelöffel, Brieföffner, Tintenfässer und unzählige Muschelschalen, die ihren Glanz verloren hatten. So, dachte Roland, war Nordengland, kohlschwarz, massiv und solide, wenn auch nicht unbedingt elegant, und der Glanz war von Staub überdeckt.

»Vielleicht«, sagte Maud, »sollte ich Leonora ein Mitbringsel kaufen. Sie hat eine Schwäche für kuriosen Schmuck.«

»Die Brosche da drüben ‒ die mit den Vergißmeinnicht drum herum und den verschlungenen Händen, auf der ›Freundschaft‹ steht.«

»Das würde ihr sicher gefallen ‒«

Im Türrahmen des engen Ladens erschien eine verblüffend kleine Frau, die über einer engen schwarzen Strickjacke eine große Kittelschürze mit violettem und grauem Blümchenmuster trug. Ihr Gesicht unter dem zu einem Knoten gebundenen weißen Haar war braun und hager. Ihre Augen waren von durchdringendem Blau, und ihr Mund offenbarte gut und gerne drei Zähne, als sie ihn öffnete. Wie ein alter Apfel war sie runzelig, aber gesund, und die Kittelschürze war makellos sauber, auch wenn die Strümpfe an den Knöcheln über den Schnürschuhen aus dickem, schwarzem Leder Falten warfen.

»Kommen Sie ruhig rein. Drinnen ist noch mehr. Alles bester Whitby-Jett, feinste Qualität. Keine Imitationen. Besseren finden Sie nirgends.«

In die Ladentheke war eine Art Glassarkophag eingelassen, in dem sich Ketten und Anstecknadeln und Armringe häuften.

»Wenn Sie was anschauen wollen, hol’ ich es Ihnen gerne raus.«

»Das da sieht interessant aus.«

»Das da« war ein ovales Medaillon, auf dem sich eine klassizistisch angehauchte Figur über eine Urne mit Blumen beugte.

»Ein viktorianisches Trauermedaillon. Wahrscheinlich von Thomas Andrew geschnitten. Er arbeitete für den Hof. Das waren gute Zeiten für Whitby, die Zeit nach dem Tod des Prinzgemahls. Damals wollten die Leute sich noch an ihre Toten erinnern. Aber heute ‒ aus den Augen, aus dem Sinn.«

Maud legte das Medaillon auf die Theke. Sie bat die alte Frau, ihr die Freundschaftsbrosche aus dem Fenster zu zeigen. Roland betrachtete eine Tafel mit Broschen und Ringen, die aus feinen Strängen von Seide zu bestehen schienen, von Jett umwunden oder mit Perlen besetzt.

»Das ist hübsch. Jett und Perlen und Seide.«

»O nein, Sir, keine Seide. Es ist Haar. Die Broschen mit Haar sind Trauerbroschen.



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